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Industrielle Automation 6/2018

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Industrielle Automation 6/2018

PROFIsafe und PROFINET

PROFIsafe und PROFINET im Hochsicherheitstunnel FRISCHE LUFT IM ARLBERGTUNNEL Blick in den Schacht auf das Dach der Kabine in der Schachtbefahrungsanlage. Nach umfangreichen Sanierungsarbeiten ist der kürzlich für den Verkehr wieder freigegebene Arlberg-Straßentunnel zu einem „Hochsicherheitstunnel“ geworden. Ein wichtiges Teilprojekt war die neue Automatisierung der Wartungslifte in den viele hundert Meter tiefen Belüftungsschächten. Hier sorgt nun ein leistungsstarkes Trio aus Funkmodulen, Bluetooth-Funktechnik und PROFINET für Sicherheit. Der im Jahr 1978 eröffnete Arlberg-Straßentunnel ist mit seinen etwa 14 km der längste Straßentunnel Österreichs und auch die einzige „wintersichere“ Verbindung zwischen Tirol und Vorarlberg. In den Jahren 2015 und 2017 wurde von dem Betreiberunternehmen ASFINAG bzw. durch dessen beauftragten Fachunternehmender PKE Verkehrstechnik GmbH die erste Generalsanierung des Tunnels mit dem zentralen Anliegen, die Gesamtsicherheit im Tunnel zu verbessern, vorgenommen. Dazu gehörten u. a. zusätzliche und verkürzte Fluchtwege, neue Beleuchtungskonzepte, Thermoscanner für Lastkraftwagen ebenso wie eine umfassende Modernisierung der bezüglich ihrer Steuerungstechnik veralteten Lüftungsanlagen. Der Luftaustausch im Tunnel erfolgt über zwei Lüftungszentralen an den Tunnelportalen sowie zwei vertikale Lüftungsschächte mit zugehörigen Kopfstationen: Der Schacht Maienwasen auf Tiroler Seite mit einer Tiefe unter Erdoberfläche von 273 m und der Lüftungsschacht Albona auf der Vorarlberger Seite mit einer Tiefe von 736 m. Beide Schächte haben einen Durchmesser von etwa 8 m. In den Schächten befinden sich die für Zu- und Ablauft benötigten Ventilatoren zusammen mit den erforderlichen betriebs- und sicherheitstechnischen Einrichtungen einschließlich eines Personenliftes für das Wartungspersonal. Im Rahmen der Tunnelsanierung sollten auch die Steuerungen der beiden Schachtbefahrungsanlagen auf den neuesten technischen Stand gebracht werden. Ausführendes Unternehmen war hier die STB Steuerungstechnik Beck GmbH in Egg, Vorarlberg. WECHSEL AUF FUNK- STEUERUNGSTECHNIK Als neue Steuerung für die Schachtbefahrungsanlagen der Belüftungsschächte wurde von STB Steuerungstechnik Beck in den Kopfstationen je eine S7 F eingesetzt. Diese ist für den sicheren Betrieb der Liftanlage für das Wartungspersonal mit ihren Fahrkörben ausgerüstet. Alle Komponenten sind angesichts der hohen Sicherheitsanforderungen fehlersicher/failsafe ausgeführt unter Verwendung von PROFIsafe über PROFINET als Kommunikationstechnologie. Für die Kommunikation zwischen Steuerung und Fahrkorb der Liftanlage wurden vor der Tunnelsanierung aufrollbare Kabel verwendet. Bei den hier gegebenen Fahrstrecken über viele hundert Meter ist dies eine kostspielige und erfahrungsgemäß wartungsintensive Lösung. Mittlerweile steht für derartige Applikationen in Form einer kabellosen Kommunikation per Funkstrecken eine leistungsfähige Alternative zu Verfügung. Sie bietet gegenüber kabelgebundener Kommunikation erhebliche Vorteile, muss jedoch hochverfügbar sein, da sie oft zusammen mit fahrerlosem Betrieb eingesetzt wird und eine Unterbrechung der Kommunikation zu gefährlichen Situationen führen würde. Daher müssen die Funkstrecken in ihrer Auslegung (Funkfrequenz, Funkleistung, Antennentechnik, Montagepunkte u. ä.) spezifisch an die jeweiligen örtlichen Gegebenheiten wie 18 PI-Magazin 2/2018

Entfernungen, Staubbelastung, Reflexion oder Dämpfung der Signale an Hindernissen auf dem Übertragungsweg u. ä. angepasst werden. Das mit der Automatisierung der Schachtbefahrungsanlage beauftragte Unternehmen STB Steuerungstechnik Beck vertraute bei Auswahl der Funktechnik auf die bereits in vielen anderen Projekten bewährte Funkmodul-Serie Dataeagle der Schildknecht AG. Im aktuellen Projekt kamen Module vom Typ DE 4712 zum Einsatz. Diese Modul-Version „versteht und spricht“ PROFIsafe über PROFINET und verwendet Bluetooth 2.1 als derzeit für industrielle Zwecke geeignetste Funktechnologie. Die Reichweite beträgt – je nach Umgebungseigenschaften – viele hundert Meter; in der aktuellen Applikation wird damit im Albona-Schacht eine Entfernung von über 700 m sicher überbrückt. Die Störempfindlichkeit ist dank der Bluetooth-eigenen Funktion des „Frequenz-Hoppings“ generell sehr gering. Als Antennen wurden in der Kopfstation und an der Kabine leistungsstarke Richtantennen eingesetzt. AUF SICHERHEIT GEPRÜFT UND ZERTIFIZIERT Das anspruchsvolle Sicherheitskonzept des Tunnelbetreibers fordert die Prüfung und Zertifizierung aller sicherheitsrelevanten Einrichtungen durch ein entsprechendes Prüfinstitut. Eine wichtige Kenngröße für die Zuverlässigkeit von sicherheitsbezogenen Funktionen ist der Performance Level (PL) gemäß DIN EN ISO 13849-1. Über den PL- Wert wird die Fähigkeit von sicherheitsbezogenen Teilen einer Steuerung – und damit im vorliegenden Fall auch der eingesetzten Funkmodule – beschrieben, wie sie ihre Sicherheitsfunktion unter vorhersehbaren Bedingungen ausführen. Die PL-Abstufungen reichen von A (geringste Stufe) bis E (höchste Stufe) und geben die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit eines gefährlichen Ausfalls je Stunde an. Die vom TÜV Austria durchgeführte sicherheitstechnische Abnahme des Systems aus den Komponenten S7 F, PROFINET, PROFIsafe und Dataeagle 4712 ergab ein Performance Level D entsprechend SIL 2. ERGEBNIS UND FOLGERUNGEN FÜR IIoT Kabine der Schachtbefahrungsanlage in der Kopfstation. Der Einsatz von Funktechnik als leistungsfähiger Problemlöser der Automatisierungstechnik zum Ersatz anfälliger Kabelverbindungen zwischen bewegten Anlagenteilen hat sich bei der Modernisierung des Arlbergtunnels voll bestätigt. Die Anlagen entsprechen nun wieder dem „Stand der Technik“ und damit verbunden wird die Sicherheit der Mitarbeiter bei der Bedienung der Anlage gewährleistet. Der Einsatz von Funkstrecken über PROFINET hat eine über das aktuelle Projekt weit hinausgehende Bedeutung für Applikationen in Verbindung mit IIoT-Anwendungen: Ethernet-Kommunikation (PROFINET ist Ethernet!) lässt sich über bestimmte Strecken kabellos realisieren, wie etwa beim Datentransport von schwer zugänglichen Sensoren einer Maschine zu einer Device- oder Daten-Cloud. Voraussetzung dafür sind leistungsfähige und konstruktiv vielfältige Funkmodule, um derartige Lösungen auch in bereits bestehende Anlagen integrieren zu können. Thomas Schildknecht, Schildknecht AG PI-Magazin 2/2018 19