Von der abstrakten Idee zur umsetzbaren Technologie Seap 4.0 zeigt eine konkrete Realisierung der Verwaltungsschale Das Open-Source-Projekt openAAS soll das Konzept der Verwaltungsschale mit einer praktischen Implementierung stützen und gleichzeitig eine Grundlage für eine weitergehende Diskussion schaffen. Das Kooperations- Projekt Seap 4.0 hat dieses Angebot aufgenommen. Im Artikel werden verschiedene konkrete Anwendungsszenarien vorgestellt. Selbst wenn zahlreiche interessante Projekte aus Forschung und Industrie einzelne Aspekte von Industrie 4.0 plakativ darstellten, fehlte lange Zeit eine praktische Umsetzung der Verwaltungsschale. Das hat sich mit dem Open-Source-Projekt openAAS (open Asset Administration Shell) des ZVEI und des Lehrstuhls für Prozessleittechnik der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen geändert. Das Vorhaben zielt darauf ab, die Realisierbarkeit der bislang rein theoretischen Verwaltungsschale (AAS) anhand einer praktischen Implementierung zu prüfen. Auf diese Weise soll eine Diskussionsgrundlage für weitere Entwicklungen geschaffen werden. Mit open- AAS ist somit die erste Verwaltungsschale Dipl.-Inf. Olaf Graeser ist Mitarbeiter im Bereich Corporate Technology & Value Chain bei der Phoenix Contact GmbH & Co. KG in Blomberg konzipiert worden, die den Vorgaben der Plattform Industrie 4.0 entspricht. Herausforderung eines durchgängigen Engineerings Das Kooperationsprojekt Smart Engineering and Production 4.0 (Seap 4.0) der Unternehmen Eplan, Rittal und Phoenix Contact beschäftigt sich mit der Herausforderung eines durchgängigen Engineerings. Am Bei spiel des Schaltschrankbaus zeigen die Partner dabei die Bedeutung digitaler Modelle für das Engineering und die Fertigung auf. Im Seap-4.0-Szenario stellen Komponentenhersteller digitale Modelle ihrer Produkte – zum Beispiel Reihenklemmen – in Form von eCl@ss-Beschreibungen zur Verfügung. Diese können dann direkt im Engineering-Prozess des Schaltschranks verwendet werden. Das hier entstandene digitale Modell des Schaltschranks lässt sich auf der Grundlage der Standards eCl@ss und AutomationML anschließend sofort für die intelligente Produktion nutzen. Ursprünglich wurden im Seap-4.0-Projekt Dateien übertragen: BMECat (eCl@ss) vom Komponentenhersteller in das Engineering sowie eine Kombination der Standards AutomationML und eCl@ss in die intelligente Fertigung. Der nächste logische Schritt im Seap-4.0-Projekt war folglich, für den Transport von Informationen zwischen den Systemen aktuelle Industrie- 4.0-konforme Technologie einzusetzen. An dieser Stelle kommt dann openAAS ins Spiel. Seap-4.0-Szenario in drei verschiedenen Szenarien Im Seap-4.0-Szenario wird openAAS in drei verschiedenen Szenarien verwendet: Der Bereitstellung von Artikeldaten für das Engineering, dem Abgleich von Anlagenfähigkeiten der intelligenten Produktion sowie der Verwaltung von Konfigurationsdaten. Für den ersten Anwendungsfall wurden die eCl@ss-basierten Artikeldaten in openAAS- Verwaltungsschalen modelliert. OpenAAS nutzt hier keine einfachen Merkmale, sondern Property Value Statements (PVS). Die PVS ermöglichen u. a. die Übernahme der eCl@ss-Identifier (IRDIs) und schaffen da- 52 INDUSTRIELLE AUTOMATION 2/2019
HANNOVER MESSE 2019 01 02 01 Datenfluss und genutzte Datenstandards im Projekt Smart Engineering & Production 4.0 02 Stellvertreter-Verwaltungsschalen für Konfigurations- und Statusinformationen rüber hinaus eine Ausprägungsaussage zu den Merkmalen. Die Ausprägungsaussage kann ein Requirement, Assurance, Measurement oder Setting sein. Bei der Abbildung von eCl@ss-Informationen, also Katalogdaten, handelt es sich immer um eine Zusicherung (Assurance). Zu jedem im Seap-4.0-Szenario eingesetzten Artikel wurde eine entsprechende AAS erzeugt und auf einem Server abgelegt. Um diese Artikelinformationen in das Engineering importieren zu können, haben die Partner ein prototypisches Eplan-Plugin entwickelt, das den Datenaustausch mit dem Artikeldaten-Server anhand von open- AAS-Kommunikationsmitteln aufnimmt, einen Artikel anfragt, empfängt und in die Produktdatenverwaltung des Engineerings einfügt. Berücksichtigung der Anlagenauslastung Im zweiten Szenario findet der Datenaustausch zwischen dem intelligenten Leitsystem und den angeschlossenen Fertigungsanlagen statt. Zunächst wurden dazu nur die Produktionsanlagen mit openAAS- Verwaltungsschalen ausgestattet. Das zugehörige Leitsystem kommuniziert direkt per OPC UA mit den AAS. Im ersten Schritt erhält das Fertigungsleitsystem das digitale Modell des herzustellenden Produkts als AutomationML-Datei aus dem Engineering. Danach leitet es auf Basis des regelbasierten Schließens die notwendigen Produktionsschritte aus dem digitalen Modell ab. Die AAS der Fertigungsanlagen beinhalten u. a. die in der jeweiligen Anlage verfügbaren Produktionsschritte als Zusicherung. Das Leitsystem fragt daraufhin bei allen angekoppelten AAS die jeweils vorhandenen Fertigungsschritte ab. Stimmen die erforderlichen und verfügbaren Fertigungsschritte überein, verteilt das Leitsystem die Teilmodelle des herzustellenden Produkts an die einzelnen Anlagen und die Produktion kann beginnen. Zukünftig soll neben den Fertigungsschritten auch die Auslastung der Anlagen berücksichtigt werden. Auf diese Weise kann das Leitsystem nicht nur entscheiden, ob das Produkt hergestellt werden kann, sondern ebenfalls bis zu welchem Zeitpunkt. Ein solches Vorgehen erlaubt es, dass der Kunde ein digitales Modell des gewünschten Produkts über einen Konfigurator oder ein Engineering-Werkzeug als Anfrage auf die Webplattform des Herstellers stellt. Von dort gelangt das digitale Modell über das ERP-System zu den Fertigungsleitsystemen, die dann selbstständig bestimmen können, ob und bis wann das Produkt produzierbar ist. Das Ergebnis wird an das ERP-System zurückgemeldet, das die Information um den Preis des Produkts ergänzt. So erhält der Anwender binnen kurzer Zeit eine Auskunft über das Lieferdatum und die Kosten. Konfigurationsdaten werden per App weitergeleitet Im dritten Anwendungsfall wird das Thema der Stellvertreter-Verwaltungsschalen behandelt. Bestenfalls befindet sich die AAS direkt auf dem Asset, was jedoch nicht immer möglich ist. Im Seap-4.0-Szenario dient eine Stromversorgung als Beispiel. Das Gerät lässt sich zwar über NFC (Near Field Communication) konfigurieren, ist abgesehen von Meldeausgängen aber ansonsten nicht kommunikationsfähig. In diesem Fall kann die entsprechende AAS auch an einem anderen Ort angesiedelt sein, z. B. im IT-System des Unternehmens, auf dessen Anlagen das Endprodukt gefertigt wird. Allerdings muss sich zwischen der AAS und dem Asset eine Verbindung aufbauen lassen. Zu diesem Zweck wurde die Konfigurations-App für die Stromversorgung erweitert, sodass sie diese Aufgabe übernehmen kann. Die per NFC eingelesenen Konfigurationsdaten werden nun von der App über WLAN oder Mobilfunk an die AAS weitergeleitet. Dazu sind alle Konfigurationsmerkmale vollständig als PVS innerhalb der AAS modelliert. Ändern sich hingegen die Daten in der Verwaltungsschale, erhält die App die neuen Daten aus der AAS und der Anwender wird durch die App aufgefordert, die Aktualisierung auf das Asset zu übertragen. Auf diese Weise bleiben die Konfigurationszustände in der AAS und im Asset stets synchron. Für den Anlagenbetreiber ergibt sich somit der Vorteil, dass die Konfiguration nicht mehr zwingend über eine spezielle App erfolgen muss. Fazit OpenAAS ist eine erste Implementierung der Verwaltungsschalen, die als wesentliche Elemente von Industrie 4.0 fungieren. Dipl.-Inf. Olaf Graeser, Mitarbeiter Corporate Technology & Value Chain, Phoenix Contact Der Einsatz von openAAS im Seap-4.0- Projekt hat gezeigt, dass sich selbst prototypische Verwaltungsschalen schon heute nutzbringend in verschiedenen Bereichen verwenden lassen – beispielsweise der Bereitstellung von Produktdaten, einer intelligenten Fertigung oder der Verwaltung von Konfigurationsdaten. Bilder: Phoenix Contact www.phoenixcontact.de INDUSTRIELLE AUTOMATION 2/2019 53
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