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INDUSTRIELLE AUTOMATION 1/2020

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INDUSTRIELLE AUTOMATION 1/2020

Saftey first RFID-System

Saftey first RFID-System ermöglicht Prozesskontrolle durch direkte Datenspeicherung am Produkt Ralf Moder ist Vertriebsspezialist bei der Turck GmbH & Co. KG in Mülheim an der Ruhr Auf die Sicherheit von Produkten für Kinder wie Fahrradsitze, Helme und Kindersitze, legen Kunden und Hersteller besonderes Augenmerk. Vor allem hier müssen Produktionsfehler vermieden werden. Für einen renommierten Kindersitzhersteller entwickelte ein Automatisierungsunternehmen ein System zur Produktionssteuerung und Qualitätssicherung über RFID-Tags und TBEN-S-Ethernet-Multiprotokoll-Module in Verbindung mit Labview – ganz ohne SPS. Wie der Industrie-4.0-Gedanke in konkreten Projekten realisiert werden kann, hat die Kirschenhofer Maschinen GmbH jüngst bei der Britax Römer Kindersicherheit GmbH bewiesen. Ganz ohne übergeordnete Steuerungen oder zentrale Datenbanken hat Kirschenhofer ein Trackingsystem für Kindersitze realisiert, dessen Datenbasis ein RFID-Datenträger am Produkt bildet. Dieser Tag enthält die Abfolge der Montage- Stationen und dokumentiert alle Produktionsschritte. So wird die Qualität gesichert und das Produkt ist später schnell und einfach auch in der Verpackung identifizierbar – ortsungebunden und ohne Datenbankzugriff. Basis des Projekts ist die von Kirschenhofer umgesetzte Anbindung von Turcks Multiprotokoll-RFID-I/O-Modulen TBEN-S an die Systementwicklungssoftware Labview von National Instruments. System auf Labview-Basis steuern Britax Römer hat vor dem Aufbau seiner Produktionsstrecke für den Kindersitz Advansafix IV Rat beim Automatisierer und Spezialmaschinenbauer Kirschenhofer Maschinen GmbH gesucht. Die Verantwortlichen auf beiden Seiten hatten schnell ein ähnliches Bild davon, wie die größtenteils manuelle Produktion der neuen Kindersitzfamilie automatisiert gesichert werden könne. Das System sollte auf Basis von Labview, einer weit verbreiteten Systementwicklungssoftware für Prüf-, Mess-, Steuer- und Regelanwendungen, gesteuert werden und RFID- Datenträger als Datenbasis nutzen. Der Vorteil: Britax Römer spart sich große Produktionsumbauten und Infrastrukturinvestitionen. Der Produktionsprozess des Advansafix IV besteht aus 16 Einzelschritten. Für jeden dieser Schritte existiert ein Merkmal, das überprüft werden kann. Das beginnt mit dem Aufbau der Sitzbasis, der Base, und endet mit der Verpackung des Sitzes in einem Karton. Jeder erfolgreiche Produktionsschritt soll einzeln als „in Ordnung“ (IO) dokumentiert werden. Wird eine Station ausgelassen oder kann nicht erfolgreich abgeschlossen werden, bleibt dieses Merkmal als „nicht in Ordnung“ (NIO) markiert. RFID-System speichert alle Daten Nico Dreher, als Prozessingenieur bei Britax Römer zuständig für das Projekt, wünschte sich ein System, das auch mobil eingesetzt werden kann, um die Identifikation der Sitze bei Händlern zu erleichtern. Kirschenhofer entwickelte einen komplett neuen Systemansatz, der beide Wünsche erfüllen konnte: die Prozesskontrolle mit einem RFID-System, das alle Daten auf dem Datenträger am Produkt speichert. Das hört sich im ersten Moment unspektakulär an, ist aber für ein Produktions-Tracking-System in dieser Form noch nicht realisiert worden. Üblicherweise nutzen Tracking-Systeme nur die ID des Datenträgers und sichern die zugehörigen Produktionsdaten in einer Datenbank, auf die alle relevanten Prozessstellen Zugriff haben. Aber genau diese Server-Infrastruktur wollte Kirschenhofer seinem Kunden ersparen – schließlich sollte auch jeder Händler Zugriff auf die Datenbank haben. Ein dezentrales System ohne permanente Datenbankanbindung und ohne SPS bietet dem Anwender den ein oder anderen Mehrwert, u. a. die Mobilität und die Unabhängigkeit. Eine minimale Einschränkung liegt in der begrenzten Speicherkapazität der Datenträger. Schlüsselpositionen in Pilotsystem umgesetzt Nachdem die grobe Skizze stand, sollten zunächst in einem Pilotsystem als „Proof of Concept“ die fünf Schlüsselpositionen der 16-stufigen Produktion umgesetzt werden. An der ersten Station wird der Datenträger in die Bodenplatte des späteren Sitzes eingeklebt. Ein RFID-Schreib-Lese-Kopf überprüft den korrekten Sitz, indem der frisch einklebte Tag ausgelesen und mit dem Prozessabbild beschrieben wird. Als zweite Station wurde eine Roboterprüfzelle gewählt, in der der weitgehend fertige Sitz optisch auf die 16 Produktionsmerkmale überprüft 14 INDUSTRIELLE AUTOMATION 1/2020

SENSORIK UND MESSTECHNIK wird. Wenn später einmal Sitzvarianten abgebildet werden sollen, könnte der Prüfroboter über den Datenträger am Sitz einen alternativen Testablauf mit anderen Merkmalen auswählen. Die dritte Station überprüft die Isofix-Funktion. Bevor der fertige Sitz verpackt wird, prüft die vierte Station, ob alle vorherigen Prozessschritte als IO auf dem Datenträger dokumentiert wurden. Die fünfte Station ist die Nacharbeitsstation, an der Sitze mit NIO- Kennzeichnung überarbeitet werden. Auf dem RFID-Datenträger ist der komplette Prozess abgebildet. Es gibt nur eine zugelassene Reihenfolge der Produktionsschritte. Das System sichert die korrekte Abfolge, indem an jeder der vier Stationen nach einem erfolgreichen Montageabschnitt das entsprechende Merkmal auf IO gesetzt wird. Nach Station 1 (Einkleben des Tags) kann also nur Station 2 folgen. An Station 2 wird geprüft, ob am vorliegenden Sitz Station 1 erfolgreich ausgeführt wurde. Erst dann läuft der Prozess weiter. Den passenden Datenträger dafür fand Kirschenhofer bei Turck. Da der Tag direkt im Sitz eingeklebt wird, darf er nicht zu groß sein. Turck konnte mit dem Smart Label TW-L36-18-F- B320 einen Datenträger anbieten, der alle Anforderungen erfüllt. Der daumennagelgroße Aufkleber hält mit 320 Byte sogar 01 mehr als die Minimalgröße an Datenspeicher bereit und kann somit auch Erweiterungen des späteren Systems abbilden, falls einmal auch Soll-Messbereiche abgebildet oder weitere Stationen ergänzt werden. Betrieb des Prüfsystems ohne SPS Für solche Tracking- und Prüfsysteme wird eigentlich keine SPS benötigt. Die Prozesse sind nicht zeitkritisch und ließen sich auch von klassischer Büro-Hardware erfassen. Allerdings sind dabei häufig die Schnittstellen das Problem. RFID-Interfaces sind i.d.R. zum Anschluss an industrielle Ether­ 01 Der Tag in der Sitzbasis steuert, sichert und dokumentiert zukünftig den Produktionsprozess 02 Das RFID-Interface spricht sowohl Profinet mit der Siemens-SPS als auch Ethernet/IP als Schnittstelle zu Labview an der Nacharbeitsstation 03 In der Metallbasis unter dem Sitz ist ein TN-Q14-Schreib-Lese-Kopf montiert, der das Testergebnis auf den Tag im Sitzboden schreibt net-Netzwerke ausgelegt und können daher nicht ohne weiteres mit den Anwendungen auf PCs oder mobilen Endgeräten Wir haben durch die Lösung ohne SPS mehrere Tausend Euro an der Rework Station sparen können. Craig Craill, Kirschenhofer Maschinen GmbH, und Nico Dreher, Britax Römer Kindersicherheit GmbH kommunizieren. Craig Craill, geschäftsführender Gesellschafter und SPS-Programmierer bei Kirschenhofer, suchte nach einer Lösung, die den Betrieb eines RFID-Systems ohne SPS ermöglicht. Drehund Angelpunkt war die Rework-Station. Der Bediener sieht hier auf einem Tablet- PC alle nötigen Informationen. Es zeigt an, welches Merkmal fehlerhaft ist und stellt den Soll-Zustand der Montage im finalen System auf einem Bild dar. Dieses System basiert auf Standard-Software, damit Britax Bilder und Texte selbst einpflegen kann. Kirschenhofer setzt an der Nacharbeitsstation Labview ein. Da die Software allerdings keine Verbindung zum RFID-System hatte, musste eine Lösung her. Schnittstelle programmiert Kirschenhofer wählte für das System bei Britax Römer TBEN-S-RFID-Interfaces und je nach Station unterschiedliche Schreib­ Lese-Köpfe von Turck. Das TBEN-S-Modul kann die RFID-Daten der Schreib-Lese-Köpfe vorgefiltert über Profinet, Ethernet/IP oder Modbus TCP an übergeordnete Systeme ausgeben. Craill entschied sich dazu, eine direkte Schnittstelle zwischen Labview und Ethernet/IP zu programmieren, um den Umweg über eine Steuerung zu vermeiden. Er erwartet eine positive Entwicklung des Protokolls: „Ethernet/IP hat viel Potenzial, da es die Vorteile eines industriellen Ethernet-Netzwerkes hat, aber im Unterschied zu Profinet komplett offen ist und ohne Lizenzgebühren funktioniert.“ Entsprechend hoch bewertet der Programmierer auch das Potenzial der Schnittstelle zwischen Ethernet/ IP und Labview. Die bisherige Erfahrung mit dem Pilotsystem bestätigt die problemlose Funktion der Schnittstelle und öffnet Kirschenhofer damit Raum für Folgeprojekte. 02 03 Bilder: Aufmacherfoto: nullplus/stock.adobe.com; sonstige Turck www.turck.de INDUSTRIELLE AUTOMATION 1/2020 15