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INDUSTRIELLE AUTOMATION 6/2019

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INDUSTRIELLE AUTOMATION 6/2019

„Referenzprojekte

„Referenzprojekte schaffen“ Wie Maschinenbau und Software-Unternehmen den digitalen Wandel voranbringen Anlässlich der 111. O+P-Gespräche stellte sich die Kernfrage, wer und wie bei Industrie 4.0 bzw. der Digitalisierung der Industrie welchen Part erfolgreich übernehmen oder wer verlieren könnte. Eventuell entwickeln sich Softwarehäuser und klassische Maschinenbauer auch partnerschaftlich zum Nutzen des Anwenders – mit Mehrwerten bei neuen Geschäftsideen und -modellen? Dr. rer. nat. Monika A.I. Schumacher, Inhaberin, Integral Dr. Schumacher, Marl Eine hochkarätige Expertenrunde diskutierte unter Moderation von Rainer Glatz vom VDMA. Dabei waren Microsoft, SAP, Bosch, Bosch Rexroth, Schaeffler, Siemens, Aventics, B&R, Schwäbische Werkzeugmaschinen, VDMA Fluidtechnik, Festo, Sick und GFOS. Anders formuliert – in der Runde waren Digitalisierer, Automatisierer, Maschinenbauer, Komponenten-Zulieferer und Gesamtanbieter. Bereits bei der Frage, wie die Gesprächsteilnehmer Industrie 4.0 definieren, zeigten sich Unterschiede. Automatisierer fokussieren Vernetzung als Basis für den Datenaustausch zwischen Maschinen, namentlich die Kommunikationstechnologie OPC UA TSN. Stichworte hierbei: Standardisierung, Transparenz, Konvergenz, sehr kurze Latenzzeiten, hohe Datenmengen und Knotenanzahl sowie Durchgängigkeit vom Feldbis zur ERP-Ebene. Die Datennutzung solle kein Selbstzweck sein, es gelte die Daten zielbringend zu nutzen, so etwa um die Produktivität und Effektivität zu steigern, also Predictive Maintenance, vorausschauende Wartung und neu entwickelte Geschäftsmodelle. Auch Komponenten-Zulieferer und Gesamtanbieter wollen OPC UA auf die Feldebene bringen, denn nur offene Standards gestatten die Vernetzung, wie sie künftig erforderlich sein wird. Der Nutzen der Industrie 4.0 ist noch wenig wertschöpfend Alle Parteien arbeiten daran, dementsprechend die Produktivität zu steigern, sie flexibler zu gestalten und neue Optionen auszuloten. Anhand von Prototypen, aufgerüsteten eigenen Werken oder im Selbsttest lernen sie, wo die neuralgischen Punkte sitzen. Im Proof of Concept, bei Leuchtturmprojekten oder in Kundengesprächen wird auch praktisch evaluiert: Welcher Nutzen lässt sich generieren, zu welchem Benefit und welche Maßnahmen kommen in welche Reihenfolge. Seit dem Startschuss zu Industrie 4.0 im Jahr 2011 hat nahezu jedes größere deutsche Unternehmen Projekte initiiert. Gleichwohl fehlt es an offenen Standards, außerdem 66 INDUSTRIELLE AUTOMATION 6/2019

INDUSTRIELLE KOMMUNIKATION sind Komponenten oder Maschinen nicht frei kombinierbar. Das heißt der Nutzen ist noch wenig wertschöpfend oder in Einsparungen umsetzbar. Kurz: „Der Hype um das Buzzword Industrie 4.0 ist abgeebbt und jetzt geht es an die Kernarbeit“. Nun soll sich Industrie 4.0 beweisen, also Losgröße 1 bzw. bei der flexiblen Umstellung von Maschinen und in der Produktion. Dies umfasst Themen wie Datensammlung, Vernetzung, Visualisierung der Daten, Data Analytics, Machine Learning und Künstliche Intelligenz. Neben Fortschritten in der Produktivität und der Transformation durch Digitalisierung gehören Mitarbeiter und Kunden mit in die digitale Welt. Ausbau der digitalen Kompetenz ist die Herausforderung Hierbei spielt Software eine außerordentliche Rolle. Für Digitalisierer ist Software gleichsam das Backbone, auf dem Industrie 4.0 realisiert wird. Sie stellen bei Mittelständlern banale Gründe fest, woran es bei der Digitalisierung hapert: Prall gefüllte Auftragsbücher, mangelnde Experten und/ oder Verständnis für Algorithmen oder Prognosen sowie Detailarbeit, also in welchen Schritten digitalisiert werden soll. Dem widerspricht ein Anwender, Disruption sei beim Endkunden weniger willkommen. Anwender präferieren eher einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess. Industrie 4.0 kann für ihre Kunden eine bessere, schnellere Hardware bedeuten oder eine Kombination aus Dienstleistung und Hardware in Form eines neuen Geschäftsmodells. Anwender sind unsicher, ob sie mittelfristig noch Maschinen mit diversen Zusatzpaketen wie Predictive Maintenance Wir sind nur dann erfolgreich, wenn unsere Kunden erfolgreich sind und dafür ist gegenseitiges Vertrauen das A und O Sebastian Seutter, Director Manufacturing Industries, Microsoft verkaufen oder ob Geschäftsmodelle wie etwa Pay per Use gefordert sind. Softwarehäuser betrachten den Maschinenbau als Enabler für weitere Industrien, etwa die Konsumgüter- oder Automobilindustrie. Überall dort wo Massenprodukte individualisiert werden müssen, brauche es Industrie-4.0-fähige Maschinen. Und den Trend zu neuen Geschäftsmodellen greifen Softwarefirmen gerne auf – Stichwort Maschine oder Flotte as a service. Ebenso bieten ihnen Technologien – wie Künstliche Intelligenz, Mixed Reality und IoT – ebenso wie ihren Kunden und Partnern, völlig neue Geschäftsoptionen und digitale Wertschöpfungsketten. Die Großen der Softwareunternehmen verstehen sich bei der digitalen Transformation als Partner der Industrie. So auch beim Thema Cloud. Wer sind die neuen Player bei Software? Bei aller Gemeinsamkeit bleibt „die Angst der Zulieferer, dass große IT-Konzerne in der digitalisierten Welt sich als Daten kraken zwischen Zulieferindustrie und deren Kunden setzen und ihnen künftig das Geschäft vermiesen“, wie der Moderator ausführt. Die angesprochenen Softwarehäuer widersprechen, sie verstünden sich als Datentreuhänder. Nicht maschinennahe Daten, sondern Datensätze wie „Meine Maschinenflotte hat im letzten Monat folgende Leistung generiert“ seien in anonymisierter Form von Interesse. Hieraus ließen sich über Kunden- und Maschinenherstellergrenzen hinweg neue Erkenntnisse ableiten. Der Unterscheidung zwischen Ma- Es braucht eine Möglichkeit, über verschiedene Cloud-Lösungen hinweg unabhängig zu kommunizieren Markus Sandhöfner, Geschäftsführer, B&R schinen- und Unternehmensdaten stimmen Komponentenhersteller zu. Auch seien bei Applikationen wie ERP und MES die Daten bei den „Software-Giganten“ gut aufgehoben. Komplettanbieter ergänzen: Wenn dem Maschinenbauer zunehmend Mehrwertdienste angeboten werden, gelte es zu diskutieren, wie ein „fair share“ entsteht. Konkurrenz der Softwarehäuser seien vorrangig die Automatisierer – danach kämen die Maschinenbauer. Softwarehäuser „kommen von oben, von der Geschäftsebene, und enden auf der OPC- UA-Schnittstellen-Ebene“. Wem gehören die Daten? Dazu die Softwareseite: „Die Daten gehören dem, der sie erzeugt, außer es ist vertraglich anders geregelt.“ Umstritten ist die Trennung zwischen Zustandsdaten der Maschine und Prozessdaten, die das ureigene Domänenwissen des Betreibers beinhalten. Gleiches gelte für die Datenspeicherung. Dies sei eine Frage von Partnerschaft und Vertrauen; aktuell gäbe es im Multi-Stakeholder-Modell aber noch keinen Ansatz, wie dieser Konflikt zu lösen wäre. Resümee Die Diskutanten ziehen ein Fazit zu den 111. O+P-Gesprächen: „ Es braucht den Mut, einfach mal Dinge zu machen. Weniger diskutieren, mehr Referenzprojekte schaffen.“ Wichtig sei es, Projekte umzusetzen, die den Kunden wirklichen Mehrwert und gleichzeitig Investitionssicherheit bieten. Auch können die Großen den Mittelstand mitziehen und als deutsche Industrie voranschreiten. Es solle nicht irgendwann heißen „Deutschland ist der Erfinder der Industrie 4.0, heute ist es ein Technik-Museum“. Kurz – bei der Cloud-Kommunikation sollten alle die Schwierigkeiten mit Insellösungen gar nicht erst aufkommen. Es gelte künftig an den Use Cases zu arbeiten, und so herstellerunabhängig zu Standards kommen. z INDUSTRIELLE AUTOMATION 6/2019 67